Gründungsfest
100 Jahre Gebirgs- und Volkstrachten-Erhaltungsverein Reichertsheim –
Tradition voller Leben!
In diesem Sommer sollte es soweit sein: Die Reichertsheimer Trachtler wollten in einer Festwoche vom 26. Juli bis 3. August 2020 das 100-jährige Bestehen ihres Vereins feiern. Die Schirmherrschaft hatte Frau Annemarie Haslberger (Bürgermeisterin bis 30. April 2020) übernommen, als Festkapelle hätte selbstverständlich die Trachtenblaskapelle Ramsau fungiert. Leider machte der Ausbruch der Corona-Pandemie die Durchführung des Festes unmöglich.
Am 20. August 1920 gründeten junge „Reischamer“, die Freude an Musik, Gesang, Schuhplattler, Tanz und Theaterspiel hatten, den Reichertsheimer Trachtenverein. Die Aufnahme in den Gauverband I erfolgte im Jahr 1921. An den nun gefeierten Festen und Fahnenweihen der neu gegründeten Vereine in näherer und weiterer Umgebung beteiligen sich auch die Reichertsheimer fleißig. Die Trachtenbewegung war in den ersten
Nachkriegsjahren richtig in Schwung gekommen. Im heutigen Gauverband I wurden allein 36 Vereine in den Jahren 1918 bis 1924 gegründet. Zwei Fotografien und ein Ehrenpreis bezeugen die Teilnahme an der Fahnenweihe des GTEV „dö Gmüatlichn Mühldorfer Stamm“ mit einem Festwagen am 11. Juni 1922. Zu Pfingsten des Jahres 1923 beteiligten sich die Reichertsheimer Trachtler am 25jährigen Gründungsfest des GTEV „D‘ Untersbergler Stamm“ Berchtesgaden und an der Fahnenweihe des GTEV „D‘ Grüabign Funtenseer“ Königssee und erhielten hierfür den II. Weitpreis im Gau, der heute noch im Besitz des Vereins ist. 1923 war es soweit, dass eine eigene Fahne beschafft werden konnte, verbunden mit heute kaum mehr vorstellbaren Schwierigkeiten. Aufgrund der seit Vereinsgründung bestehenden kameradschaftlichen Verbundenheit übernahmen die „Schneebergler“ aus Schnaitsee damals und seither immer wieder die Patenstelle.
Nach Ausbruch des Krieges 1939 kam die Vereinstätigkeit bald ganz zum Erliegen. Sieben junge Männer verlor und betrauerte der Verein in den Kriegsjahren. Nach den Schrecken des Weltkriegs regte sich bald wieder die Trachtlerseele. Josef Herzog aus Anzenberg und Franz Hanslmeier aus Wagenspeck konnten in ihrer frohen Art mehrere junge Burschen und Dirndl für die Trachtensache begeistern. Das erste Theaterstück mit dem
Titel „Unser tägliches Brot gib uns heute“ wurde bereits 1946 aufgeführt, das erste Gaufest der Nachkriegszeit 1949 in Westerham besucht. Am 29. und 30. Juli 1950 konnte das 30jährige Gründungsfest gefeiert werden, wozu die Fahne renoviert worden war. Das 50jährige Gründungsfest, zu dem die Gründung der Kinder- und Jugendgruppe erfolgte, wurde mit einem Heimatabend am 29. August und mit Gottesdienst und Festzug am 30.
August 1970 in kleinem und brüderlichem Rahmen mit den Nachbar- und Ortsvereinen gefeiert. Von nun an ging es mit dem Verein richtig aufwärts, sowohl bei den Aktivitäten als auch bei den Mitgliederzahlen.
Auf die Jugendarbeit wird seither besonderes Augenmerk gelegt. So kommen zum Erlernen von Plattlern und Tänzen auch das Einlernen von Liedern, bei entsprechender Schneelage ein zünftiges Schlittenfahren, eine Faschingsfeier, Ausflugstage mit Zeltübernachtung und die Mitwirkung am Ferienprogramm der Gemeinde. Um die Jahreswende 1974/75 erfolgte die Gründung der Goaßlschnalzergruppe. 1976 konnte die Leonhardifahrt in Thambach wiederbelebt werden, die seither durch die in den Verein integrierte Leonhardigruppe organisiert wird. Aus der Leonhardifahrt kam auch der Impuls zum Anschluss der 1971 gegründeten Blaskapelle Ramsau an den Trachtenverein. Unsere Vereinskapelle begleitet uns seit dem Gaufest 1977 in Aschau a. Inn bis auf wenige begründete Ausnahmen bei jedem Gaufest des Gauverbandes I. Weitere Höhepunkte waren in den vergangenen Jahren die gemeinsame Teilnahme an der Benediktparade 2007 in Rom, der Besuch der Grünen Woche in Berlin, der Trachten- und Schützenzug beim Oktoberfest in München 2009, die „Oide Wiesn“ 2011, die Vertretung des Gauverbandes I beim Gäubodenfest in Straubing sowie das Weinlesefest in Barr im Elsass 2013 und 2018.
Das Jahr 1980 brachte das 60jährige Gründungsfest mit Weihe einer neuen Fahne. Am Donnerstag, 14. August: Gedenkgottesdienst mit Kranzniederlegung am Kriegerdenkmal und Mitgliederehrungen im Festzelt, am Freitag, 15. August: Patrozinium, nachmittag Goaßlschnalzertreffen und abends Volkstanz, am Samstag, 16. August: Heimatabend und am Sonntag, 17. August: Festgottesdienst mit Fahnenweihe und Festzug mit 2.000 Trachtlern aus 32 Trachtenvereinen. Wieder standen die Schneebergler aus Schnaitseer Pate. Festkapelle war
die Trachtenblaskapelle Ramsau. Im Jahr 1982 übernahmen wir die Patenschaft bei der Fahnenweihe des GTEV „Schneebergler“ Schnaitsee.
Einen großen Anteil hatten wir Trachtler an der Gestaltung der 1200-Jahrfeier von Reichertsheim im Jahr 1989. Reichertsheim ist das erste Mal im Güterverzeichnis des Bischofs Arno von Salzburg und gehörte bis zur Neuordnung der bayerischen Bistümer nach
der Säkularisation Reichertsheim kirchlich zum Erzbistum Salzburg. Am historischen Festzug beteiligten wir uns mit der Darstellung einer Bauernhochzeit mit historischen Trachten und Kammerwagen sowie einem Motivwagen mit dem Schneider- und Schuhmacherhandwerk.
Die Festtage bereicherten wir mit einem Heimatabend, einem Goaßlschnalzertreffen und einem Volkstanz sowie durch Mitwirkung bei verschiedenen anderen Veranstaltungen.
Anlässlich des 70-jährigen Bestehens veranstalteten wir am 14. August 1990 ein Aktiven- und Theaterspielertreffen, zu dem alle in diesen Bereichen Tätigen und tätig gewesenen eingeladen waren und das für die Teilnehmer mit Tanz, Plattler, Einakter und Musik zu einem unvergesslichen Erlebnis wurde. Am 15. August feierten wir den Festgottesdienst und ein sich
anschließender Frühschoppen mit dem Patenverein und den Ortsvereinen ließ das Jubiläum ausklingen. 1995 konnte das 75jährige Gründungsfest gefeiert werden: Freitag 11. August: Gedenkgottesdienst mit Totengedenken am Kriegerdenkmal und Mitgliederehrung im Festzelt, Samstag 12. August: Jubiläumsheimatabend, Sonntag 13. August: Festgottesdienst
und Festzug mit Trachtlern aus 26 Trachtenvereinen, abends Volkstanz mit der Innleitn-Musi, Montag, 14. August Goaßlschnalzertreffen zum 20-jährigen Bestehen der Reichertsheimer Goaßlschnalzer mit über 100 Goaßlschnalzern und Musikanten, Dienstag, 15. August: Patrozinium, nachmittags Familiennachmittag, abends Festausklang mit Kesselfleischessen. Festkapelle war bei diesem Fest wieder unsere Trachtenblaskapelle Ramsau.
Seit 1997 wird in kameradschaftlichem Miteinander mit den Nachbarvereinen Allmannsau- Lengmoos und Aschau a. Inn in Aschau a. Inn das „InnHügelLand-Preisplattln“ veranstaltet. Im Jahr 2000 wurde an zwei Tagen das 80jährige Gründungsfest mit den Jubiläen 80 Jahre
Tanz- und Plattlergruppe, 30 Jahre Kinder- und Jugendgruppe und 25 Jahre
Goaßlschnalzergruppe gefeiert. Anlässlich des Jubiläums wurde die für den Gaujugendtag konzipierte Ausstellung über die Jugendarbeit im Gauverband I aufgebaut und gezeigt. Ein im Rampl-Hof aufgestelltes Festzelt, diente zusammen mit den inzwischen als Bauhof der
Gemeinde genutzten Garagen im ehemaligen Rampl-Bräuhaus als Räumlichkeit für das Jubiläum. Dass die erstmals gewagte Eigenbewirtschaftung zu einem „Probelauf“ für eine
nicht mehr allzu ferne Zukunft werden würde konnte damals noch niemand ahnen. 2005 wurde mit einem Jubiläumsabend im Rampl-Saal auf das 85jährige Bestehen begangen. 2008 jährte sich zum 125. Mal die Gründung des ersten Trachtenvereins in Bayrischzell. Dieses Jubiläum wurde, wie auch schon 50 Jahre zuvor im Jahr 1958 das 75-jährige Jubiläum, mit Trachtenvereinen Allmannsau-Lengmoos, Aschau a. Inn mit einem Bergfeuer gefeiert. Großer Beliebtheit erfreut sich ein in der Faschingszeit veranstaltetes Wirtshaussingen, bei dem Kreisheimatpfleger Dr. Reinhard Baumgartner seit Jahren gerne die Leitung übernimmt.
Vor eine richtungweisende Entscheidung wurden wir im Sommer 2008 gestellt, als unser Herbergsvater Ernst Rampl auf der B 12 verunfallt war. Seit 1920 ist das Gasthaus Rampl- Bräu unser Vereinslokal und Betty Rampl, die Großmutter von Ernst Rampl, war die Fahnenmutter bei unserer Fahnenweihe 1923. Nicht lange nach dem Unfall kam ein Anruf
von Bert Lindauer, der den von Ernst Rampl im Jahr 1993 ins Leben gerufenen Volksmusikabend am Kirchweih-Montag ansagen sollte. Es stellte sich für uns die Frage, ob wir diesen weitum bekannten Abend, der mit echter Volksmusik und echtem Gesang unsere Werte verkörpert, von uns durchgeführt werden kann. In einer Ausschusssitzung wurde schnell klar, dass es nicht nur um den Volksmusikabend ging, sondern auch um die Zukunft der Theateraufführungen und anderer Veranstaltungen ging. So wurde der Beschluss gefasst, den Volksmusikabend durchzuführen. Bis zum Jahresende 2016, als der Rampl-Saal aus Brandschutzgründen geschlossen werden musste, wurden dort die Vereinsveranstaltungen in
Eigenbewirtschaftung durchgeführt. Das Entgegenkommen der Gutsbesitzersfamilie Huber in Thambach ermöglichte den Umzug in den Gutsgasthof Thambach. Kurzfristig wurde in den Saal die Theaterbühne eingebaut und die Vereinstätigkeit konnte ohne Unterbrechung
fortgesetzt werden. Leider konnte die Umsetzung der vom Trachtenverein nach einem abgeschlossenen Entwicklungsprozess in der Dorferneuerung erstellten und nach Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens vom Landratsamt genehmigten Planung zum Einbau eines Saales im freien Obergeschoß des Kinderhauses in Reichertsheim mit Infrastrukturanbau aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht realisiert werden. Die Ausführung war mit einem Zuschuss aus Dorferneuerungsmitteln in Eigenleistung vorgesehen.
Seit nunmehr hundert Jahren ist der Trachtenverein Reichertsheim ein erstrangiger Kulturträger, der sich der Pflege von Tracht und bodenständigem Gwand, von Tanz und Schuhplattler, der Volksmusik, des Brauchtums und der Mundart widmet. Auf dem Fundament des Wahlspruchs auf der 1980 geweihten Fahne „Mög uns Gottes weises Walten
Heimat, Sitt und Tracht erhalten“ ist damit ein solides positives Lebensgefühl mit einem festen Stand in bleibenden Werten aufgebaut.
In die Vorbereitung der Jahrhundertfeier wurde vom Festausschuss, von Seiten der Mitglieder und von vielen anderen viel Herzblut gesteckt, um für Verein, Dorf und Gemeinde ein großartiges und unvergessliches Fest zu gestalten. Dieses Engagement soll nicht umsonst gewesen sein und so wird das Jubiläum zu einem späteren Zeitpunkt, wenn es die Verhältnisse wieder erlauben, gefeiert werden.